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josfritz Buchhandlung Freiburg
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Tijan Sila

cover

dtv , Taschenbuch , 224 Seiten

 10.90 €

 978-3-423-14697-5

 18.04.2019

Tierchen unlimited

Was um alles in der Welt hat das kriegsgeschüttelte Sarajevo mit dem friedensidyllischen Heidelberg zu tun? Diese und viele andere überlebenswichtige Fragen beantwortet uns der namenlose Ich-Erzähler des Romans mit Migrationshintergrund auf äußerst witzige Weise. Zwar mangelt es nicht an Gewalterfahrungen, die sich wie ein roter Faden durch sein erst bosnisches und später deutsches Dasein zu ziehen scheinen. Aber die Bolzplatzschlägereien des Pubertierenden in Sarajevo werden mit dem gleichen lakonischen Humor beschrieben wie die Prügel durch Neonazis, denen er dann als Heranwachsender in der deutschen Provinz ausgesetzt ist.

Dabei wollte das Kind aus akademischem Elternhaus gar nicht vor dem Krieg fliehen, viel wichtiger war es doch, die neusten Computerspiele zu tauschen und zu hoffen, dass der Strom mal so lange hält, bis man eines auch zu Ende ausprobiert hat. Oder so viele Sexheftchen zu klauen, dass es sich auch lohnt, sie den amerikanischen Soldaten zum Tausch anbieten zu können. Aber die im nahen Ausland eigentlich gut vernetzten Eltern entschieden sich dagegen, den Krieg bei Bekannten in der Nähe auszusitzen, nein, es musste Deutschland sein! Dort angekommen erwachte bei dem nunmehr Dreizehnjährigen auch das Interesse an den Mädchen, die ja so ganz anders sind als daheim im Krieg. Doch zu dem neuen Bekanntenkreis des Jungen gehören nun ähnlich schräge Typen wie in Sarajevo. Und so springt der Autor dieser wie stark auch immer autobiographisch gefärbten Erinnerungen munter zwischen Orten, Zeiten und Personen, ohne dass man dabei jemals den Lesefluss und -genuss verliert.

Gerade eben befand sich der Held dieser Geschichten noch auf wilder Flucht mit dem Rad vor dem schlägernden Nazi-Bruder einer Angebeteten, um im nächsten Moment an die ebenfalls gelungene, aber wesentlich weniger schmerzhafte Flucht aus einem verfeindeten Viertel damals in Sarajevo zu denken. Einer der Faschos, die den Weg des Kriegsflüchtlings kreuzen, heuert als Söldner an, um im Balkan das Abendland zu verteidigen. Dass der dann ausgerechnet in Sarajevo von Kugeln durchsiebt wird, fällt aber nicht unter die Rubrik »Besondere Absurditäten« sondern passt einfach ganz grandios in dieses gelungene, lesenswerte Romandebüt.

Georg Giesebrecht