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josfritz Buchhandlung Freiburg
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Alfred Döblin

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S. Fischer Verlag , Taschenbuch , 896 Seiten

 24.99 €

 978-3-596-90474-7

 27.11.2014

Amazonas

Jetzt, wo der Urwald rasend schnell schwindet, der mit Abstand wasserreichste Fluss der Erde partiell auszutrocknen beginnt, Brasiliens Chef sich als treuer Erbe der Konquistadoren geriert, rasch noch einen Blick zurück, wie es begann, damals, als die ersten Unheimlichen auf dem Kontinent landeten, den Dunklen den Garaus machten. Echt jetzt? Nochmal 900 Seiten über die grausamen Eroberungstrips von uns Europäern? Hat nicht gerade erst Klaus Theweleit mit dem Abschluss seiner Pocahontas-Tetralogie ausreichend den Wahnwitz von uns Westmenschen verkündet? Warum ausgerechnet auf ein Buch aus den 1930ern zurückgreifen, das dazu noch den Aufeinanderprall der "Unheimlichen" und "Dunklen" zu mystifizieren scheint?

Weil der Schein trügt. Mystifizierung ist das, was sonst in europäischen Siegergeschichten steht. Döblin bringt diese Haltung auf den Punkt, wenn er einen dieser spanischen Siegertypen grübeln lässt, was er bloß mit all diesen "Dunklen" anfangen soll, die nicht mal eine Ahnung davon haben, dass sie dem spanischen König unterstehen. Döblin dreht solche Pauschalisierungen gleich zu Beginn um. Es sind die "Unheimlichen", von deren grausamen Untaten an den Amazonas geflüchtete Inkas berichten. Aber die komplexe Vielvölkergemengelage am Amazonas ist gerade mit wichtigeren Konflikten, etwa der Überwindung des Patriarchats beschäftigt, als sich um solche nebulösen Fremdlinge kümmern zu können.

Mit der nächsten Drehung gibt Döblin dann den "Unheimlichen" konkrete Gesichter. Was treibt Typen wie Ambrosius Alfinger oder Nikolaus Federmann dazu, sich unter irrsinnigen Selbstkasteiungen auf mordlüsternen Raubzug ins Unbekannte zu begeben? Auch die Unheimlichen entpuppen sich als komplexe Gemengelage exportierter europäischer Machtpolitik, unfähig und unwillig, etwas anderes als die Befriedigung der eigenen Gelüste wahrzunehmen. Ein paar Jahrzehnte scheinen Jesuiten dem Vernichtungsdruck zu trotzen und eine Art christlichen Vielvölkersozialismus entwickeln zu können. Aber auch da linst schon der Gulag hervor. Ein großer literarischer Wurf.

Jürgen Reuß, Journalist