Alain Damasio

Die Flüchtigen

»Was sagt das über uns? ... Dass wir nicht wissen, wie man lebt, und uns deshalb beweisen müssen, dass wir den Tod bringen können?«

Mit Die Flüchtigen von Alain Damasio hat sich Matthes & Seitz ein dystopisches und typografisches Meisterwerk ins Haus geholt – fabelhaft übersetzt von Milena Adam. Wir folgen in nicht allzu ferner Zukunft Sahar und Lorca durch ein ziemlich kaputtes Frankreich, dessen Städte von Unternehmen gekauft wurden (schaut man sich heutzutage das Konglomerat Nestlé an, ist der Gedanke gar nicht mal so abwegig), auf der Suche nach ihrer Tochter, die eines Nachts in einem Locked-Room-Mysterium verschwindet. Weil Lorca der Meinung ist, dass sie von den sogenannten Flüchtigen, deren Existenz man aber nicht so recht beweisen kann, entführt wurde, arbeitet er sich in eine diese unsichtbaren Wesen jagende Sondereinheit vor.

Erzählt wird die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven. Wobei der Clou darin besteht, dass alle Charaktere unterschiedliche typografische Besonderheiten aufweisen, die je nach Gemütslage, so zumindest meine Deutung, intensiver werden oder mehr in den Hintergrund rücken. So lernt man mit der Zeit, die Perspektiven zu unterscheiden, hat aber gleichzeitig eine völlig neue Art des Lesens für sich entdeckt. Das habe ich so noch nie erlebt, und es hat mich wahnsinnig begeistert. Auch lenkt es ein wenig von der deprimierenden Welt ab, in der wir uns hier bewegen: ohne Bildung, mit viel Gewalt und Verbrechen, einer krassen Arm-Reich-Schere und viel Armut. Aber zum Glück ist da auch noch dieser zwischenmenschliche Zusammenhalt. Der Mut. Der Glaube an das Kleine im Großen.

In diesem Sinne: »was auch immer jetzt passieren wird, du wirst nun einen der intensivsten Momente deiner Existenz erleben. Öffne dich dafür.«

Britta Fietzke, We read Indie