Loading...
josfritz Buchhandlung Freiburg
josfritz Buchhandlung Freiburg

Christian Voller

cover

Matthes & Seitz , gebunden , 414 Seiten

 32.- €

 978-3-7518-0382-3

 22.09.2022

In der Dämmerung

Studien zur Vor- und Frühgeschichte der Kritischen Theorie

Christian Voller hat mit seinem Buch über die Vor- und Frühgeschichte der Kritischen Theorie eines der interessantesten Bücher vorgelegt, die zum Thema in den letzten Jahren zu lesen waren. Er folgt auf seiner Spurensuche zwei Pfaden, dem historisch-materialistischen, auf Marx zurückgehenden, und einem „synkretistischen". Damit meint er das geistig aufgewühlte Heidelberger Milieu junger, bürgerlicher und linker Intellektueller, zu denen Leo Löwenthal, Erich Fromm, Alfred Sohn-Rethel und Alfred Seidel gehörten. Neben der rätekommunistischen Quelle Kritischer Theorie rückt hier eine bisher unterbelichtete und unterschätzte in den Fokus.

Die Kritische Theorie entsprang also nicht allein dem Marxismus, sondern trug von Beginn an kulturtheoretische Elemente verschiedener Provenienz in sich. Die überhitzten, verzweifelten und orientierungslosen jungen Männer drängten auf eine wirkliche, lebensnahe Philosophie und setzten sich mit allen möglichen philosophischen Angeboten auseinander.

Die entscheidende innovative Idee besteht in der Entinstitutionalisierung der Kritischen Theorie. Der Autor löst also den bestehenden Fokus auf das Institut für Sozialforschung auf und konzentriert sich auf Randfiguren, die zunächst nicht oder erst später eine Rolle für die von Horkheimer bestimmte Linie spielen werden. Vor allem wird klar, dass Kritische Theorie metaphysischem Denken, wenn auch in Form einer negativen Metaphysik, nähersteht als wissenschaftlicher Welterkundung. „Das Ganze" ist nach Voller das Zauberwort der Kritischen Theorie. Der Historische Materialismus bot demnach mit der Warenformanalyse eine Kategorie zur Entschlüsselung des Ganzen der kapitalistischen Gesellschaft, was die metaphysischen Bedürfnisse in der postmetaphysischen Zeit befriedigte.

Angesichts des aktuellen Weltzustands wundert es nicht, dass gerade die frühe Kritische Theorie mit ihrem Existenzialurteil über die falsche Gesellschaft heute unter Studenten wieder an Attraktivität gewinnt. Folgt man diesem Buch, dann bezeichnet Kritische Theorie ein Denken, dass sich mit den Imperativen und der Ratio der hocharbeitsteiligen, industrialisierten, kapitalisierten, komplexen und vielfältigen Gesellschaft nicht abgefunden hat. Sie ist sozusagen eine Haltung, die aufs Ganze geht.

Jörg Später