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josfritz Buchhandlung Freiburg
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Ursula K. Le Guin

cover

Aus dem Englischen von Karen Nölle
Fischer Verlag , kartoniert , 432 Seiten

 17.- €

 978-3-596-03535-9

 26.01.2017

Freie Geister

»Das Wort für Welt ist Wald« – so lautet der Titel eines Romans der US-amerikanischen Autorin Ursula K. Le Guin von 1972. In Anbetracht des Klimawandels kann das Verständnis von Welt kaum besser auf den Punkt gebracht werden. Die Auseinandersetzung mit der (Un-)Bewohnbarkeit der Erde ist ein zentrales Motiv der Autorin. Mir begegnete sie zum ersten Mal während meines Germanistikstudiums mit ihrem Buch Planet der Habenichtse (neu übersetzt als Freie Geister). Dieser Roman gilt als ein Klassiker der Utopien, gleichrangig mit Thomas Morus Utopia.

Le Guins Roman überragt viele andere Utopien. Die Autorin vereindeutigt nicht ein System, sondern kontrastiert zwei, eigentlich sogar drei Systeme. Sie setzt diese miteinander in Beziehung, ohne eine eindeutig gut-böse beziehungsweise richtig-falsch-Dualität aufzubauen. Zwar zeigt sie zum Beispiel die Ausbeutungsstruktur des dysfunktionalen Systems in aller Konsequenz auf. Allerdings lebt der Protagonist in einem alternativen System, er ist mit dessen Schwächen konfrontiert. Sein System kann als Alternative nur dadurch deutlich werden, dass das schlechtere als Vergleichspunkt dargestellt wird. Nur durch einen solchen Vergleich können die schwächeren Alternativen ihr Gewicht gewinnen – das ist eine erstaunliche Fiktion.

Die üblichen literarischen Klassifikationen wie Utopie und Science-Fiction passen für Le Guins Romane nicht. Ich würde sie eher als Politisch-Ethische Romane einordnen. Viele Schrift­steller*innen wie Jane Austen oder Elfriede Jelinek übersetzen philosophische Ideen in Geschichten, Familienromane und Gemeinschaftsschicksale=Utopien, um zu demonstrieren, wie solche Ideale implodieren müssen. Le Guin geht darüber hinaus.

Ursula K. Le Guin als Autorin wiederzuentdecken, erlaubt, Klima­­politik in ihrem politischen Kern, als Kampf zwischen Hegemonie und individueller Akteurkraft zu fassen. In den Fokus hier rückt nicht das einzig richtige Programm, zur Disposition stehen vielmehr Haltungen: vor allem die Haltung, nicht zu verzweifeln an den Schwächen und Ungereimtheiten des Nicht-Idealen, sondern seine Sinnhaftigkeit zu erinnern. Le Guins Figuren verfügen über diese Kompetenz. Sie kann in ihren Romanen beobachtet werden.

Andrea Günter