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josfritz Buchhandlung Freiburg
josfritz Buchhandlung Freiburg

Wolfram Lotz

cover

Piper , gebunden , 912 Seiten

 34.- €

 978-3-10-397135-4

 27.04.2022

Heilige Schrift

ACHTER AUGUST
ZWEITAUSENDSIEBZEHN
so
jetzt
mal hingeschrieben
Wolfram Lotz' Heilige Schrift ist ein Buch, das in keine Schublade passt. Kein Roman, keine Prosa. Lyrik geht immer, passt aber auch nicht recht. Ein Theatertext? Not! Vielleicht eher Tagebuch, oder Protokoll?
In der Abgelegenheit der Vogesen verfasst, berührt der Text kleine Themen des Alltags im Dorfidyll und entwickelt nicht nur daraus große Fragen menschlichen Miteinanders. Gerade weil das Erzählte scheinbar harmlos daherkommt, überrascht, was alles sich, sprachlich genau erfasst, dahinter dennoch verbirgt. Der Rhythmus ist deutlich spürbar, Auslassungen und Zeilensprünge sind so pointiert, dass die Form des Texts äußerst unterhaltsam miterzählt.
Auf behutsame Weise wird dabei schriftstellerischer Alltag greifbar: Wie ist es, von einem Text begleitet zu werden, ihn tagsüber gar nicht so recht bearbeiten zu können, weil andere Verpflichtungen rufen, weil das Internet hakt, E-Mails nach Antworten verlangen? Alles umkreist die völlige Hingabe gegenüber der Sprache: was bedeutet eigentlich Schreiben, was heißt, etwas Darstellen? Oder ist man in der eigenen Rolle gefangen und erzählt am Ende doch nur das, was die anderen hören wollen? Plötzlich ertappt man sich beim Lesen selbst, lese ich am Ende auch nur das, was ich hören will? Wie dominant ist denn meine Erwartungshaltung bei der Lektüre von Texten, bei der Begegnung mit neuen Leuten?
Die Schilderungen sind an keiner Stelle abgeklärt oder routiniert, der Text wahrt durchgehend einen offenen Blick, nähert sich sensibel den Dingen. Am eindrücklichsten vielleicht, wenn wir auf andere Akteur*innen treffen, wie beispielsweise O und E, deren kindliche Erfahrungswelten immer wieder aufs Schönste mit der Normalität des Erwachsendaseins kollidieren. Und zahlreiche weitere ausgedachte oder reale Figuren bereichern die Dorfidyll-Kulisse und lassen in der Versuchsanordnung skurrile Szenen und intime Momente entstehen – immer erst lebendig im Moment des Erkannt-werdens.
Ein 900-Seiten-Klopper ohne wirklichen Plot, der trotzdem bestens unterhält! Die Motive und Ideen darf man selbst zusammenpuzzeln und stößt dabei auf eine Art des Nachdenkens, die inspiriert und Rätsel aufgibt. Bis gegen Ende immer mehr die Frage drängt: sind die weiteren 2100 Seiten, die es allem Anschein einmal gegeben haben muss, tatsächlich unwiederbringlich verloren?

Frederik Skorzinski, ist Mitglied der Lesereihe bauschen & biegen, die vom samt & sonders e.V. - Initiative für soziokulturelle Abenteuer veranstaltet wird und außerdem Teil des Unabhängige Lesereihen e.V. ist. Seit 2013 ist er für das Literaturhaus engagiert und seit 2017 auch als fester Bestandteil des dortigen Teams.