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josfritz Buchhandlung Freiburg
josfritz Buchhandlung Freiburg

Esther Dischereit

cover

Maro-Verlag , gebunden , 312 Seiten

 24.- €

  978-3-87512-676-1

 04.10.2024

Ein Haufen Dollarscheine

Mit dem namenlosen Erzähler*innen-Duo „Tante“ und „Neffe“, die in der Flughafenwartehalle kostenlose Erdnüsse und Kekse kauen, mäandert die Leserin durch die Erzähl-Splitter der jüdischen Mutter Hella und ihrer Tochter Hannelore, die versteckt in Wohnungen die Nazizeit überlebt haben. Dokumentiert in den Fragebögen des Hessischen Staatsministeriums, „Abteilung VI Wiedergutmachung“. Daraus spinnen sich in fiktionaler Autobiografie abgehackte Sequenzen aus der Familiengeschichte im rabenschwarzen Keller der deutschen Geschichte.

Allerdings ist der Kitt der Story fortgesetztes Unrecht, mit den Zutaten nicht erfolgte Anerkennung von Zwangsarbeit, schlechtes Gewissen, das sich in Form von Dollarnoten anhäuft, Odysseen um Gebeine und nicht anerkannte Verwandtschaft für vor dem Krieg angelegte jüdische Bankdepots. „Wer ist es, der mit Großmutters Löffeln isst, nachdem die Ariseure ihren Küchenschrank geplündert hatten? Das weiß ich nicht. Aber wer jetzt die Wiedergutmachung aufisst, das weiß ich.“

Das diskursive Tauziehen um die richtige Jüdischkeit – das Oszillieren zwischen dem engagierten „Neffen" und seinem Willen zur jüdischen Zugehörigkeit und die säkular-politisch engagierte „Tante", die sich zu ihren überlebenden Angehörigen verhalten, ist nicht abgeschlossen, die Familie bietet keinen einheitlichen Ort der Zugehörigkeit an – symbolisiert durch den Transit der Flughafenwartehalle. Die Namenlosigkeit der Erzählfiguren bringt eine Unschärfe mit sich, die erschüttert, weil sie keine Nähe zulässt. Einen scharfen Fokus durch Namen erhalten Angeheiratete wie Bluessänger und Maler Harold Bradley aus Rom, Ehemann der überlebenden Tochter Hannelore, und Fritz Kittel, der letzte Retter von Mutter und Tochter. Diese tragen die „zu vielen Namen“ der lange Todesbedrohten, die weitere Unsichtbarkeit des Eigenen.

Umrahmt ist das Buch von Beschwichtigungsformeln aus dem Heute, das hässliche Gurgeln des fortgesetzten Nicht-Verstanden-Haben-Wollens und schlichter Empathieverweigerung.

Jenny Warnecke Kulturaktivistin