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josfritz Buchhandlung Freiburg
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Yaniv Iczkovits

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Aus dem Hebräischen von Markus Lemke
Unionsverlag , gebunden , 608 Seiten

 28.- €

 978-3-293-00610-2

 12.02.2024

Fannys Rache

Die Vergeltung der Mende Speisman durch die Hand ihrer Schwester

Jüdische Frauen brauchen für eine Trennung einen Scheidebrief. Dieser kann ihnen nur der Mann geben. Sie selbst sind also gebunden daran, dass der Mann sie freigibt. Das wird auch heute in orthodoxen Gemeinschaften noch so praktiziert. In den USA kommt es gelegentlich zu sechsstelligen Geldzahlungen an die Männer, um einen Scheidebrief zu erhalten.

Der Roman spielt aber vor über 100 Jahren nicht in den USA, sondern im Russischen Reich oder dem aufgeteilten Polen, dem heutigen Belarus, vor allem im Shtetl Motele. Die Schauplätze sind real, das jüdische Eherecht auch, die Geschichte ist aber pure Literatur, und bringt einem ausreichend Lesefutter für lange Winterabende.

So beginnt die Geschichte mit einer tragischen Heldin, der verlassenen Frau, der Agunot Mende Speismann: Vom Ehemann verlassen, verfällt sie kurz dem Wahnsinn, um dann in tiefer Depression ans Bett gebunden zu sein. Was dann passiert, füllt die 600 Seiten des Buches so vollkommen aus, dass beim Lesen manchmal der Eindruck entsteht, die Seiten quöllen über. Rund um Motele tobt der Kampf: polnischer Widerstand gegen russische Besatzung. Die jüdische Bevölkerung verschreibt sich nicht der nationalen polnischen Idee, sie ist kein Teil davon, soll keiner davon sein und ihr bleibt nur der Bezug aufs Shtetl.

Doch ausgerechnet die Schwester der Mende Speisman, Fanny Kajsman hat dem Shtetl den Rücken gekehrt und lebt inmitten von Goijm auf dem Dorf. Als sie das Leid ihrer Schwester wegen des entflohenen Ehemannes nicht mehr mit ansehen kann, schwört sie Rache und verlässt kurzerhand Mann und Kinder, um Zwi-Meïr, den Ehemann ihrer Schwester, zurückzuholen.

Die Handlung wird immer wieder unterbrochen durch ausschweifende Geschichten über diese oder jene Figur der Geschichte, ihr Aufwachsen, ihre Vorliebe und wie sich ihr Leben so entwickelt hat. Sich auf diese Geschichten in der Geschichte einzulassen erfordert etwas Geduld, aber sie sind es, die das Buch zu etwas Besonderem machen.

Denn so schön und bildreich die Sprache ist, so detailreich beschrieben die Menschen, ihre Gebräuche und die Landschaft, umso dramatischer taucht die Gefahr in Form von Pogromen, dem korrupten Staatsapparat des russischen Reichs und dem allgegenwärtigen Antisemitismus auf.

Und umso tragischer ist es, dass durch die Shoa all diese Geschichten ein jähes und bis heute vernichtendes Ende gefunden haben. Von über drei Millionen Jüd*innen, die zu Beginn der deutschen Besatzung in Polen lebten, waren nach Kriegsende nur noch etwas über 300.000 am Leben.

Jana Kling