Alan Hollinghurst
Our Evenings
Der Roman folgt dem Leben des Erzählers Dave Win, der zurückblickt auf seine Internats- und Universitätszeit in den 1960er Jahren (einschließlich queerem Erwachen am Strand), auf seine stürmischen 1970er Jahre als Mitglied einer Schauspieltruppe, die auf die nackte Inszenierung klassischer Theaterstücke spezialisiert ist, bis in die Gegenwart, in der Dave – inmitten von Brexit, Pandemie und Ausschreitungen – ein wenig Fernsehruhm findet. Es ist ein Leben, das gekennzeichnet ist von der besonderen Beziehung zu seiner Mutter (der geheimen Hauptfigur des Romans), von Träumen, die durch alltäglichen Rassismus, die britische Klassengesellschaft und das schnöde Schicksal zu immer feinerem Staub zermahlen werden, wie auch vom unerbittlichen Voranschreiten der Zeit, das dafür sorgt, dass unsere Erinnerungen verblassen, egal wie lange wir versuchen, noch ein wenig länger an ihnen festzuhalten.
In Großbritannien gilt Alan Hollinghurst als einer der besten Schriftsteller unserer Zeit; in Deutschland ist er weniger bekannt. 2004 erhielt er für The Line of Beauty den Booker Prize. Darin sezierte er stilistisch perfekt die Thatcher-Zeit und ihre Folgen für die britische Gesellschaft. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung waren die Ereignisse, die The Line of Beauty beschrieb, 20 Jahre her. Wiederum 20 Jahre später ist Our Evenings nun keine Fortsetzung, sondern eher eine Variation auf größerer Leinwand: Der Roman setzt früher ein und wird bis ins Heute fortgeführt. Our Evenings lässt Ursachen und Folgen des Brexits durchschimmern, die langfristiger und subtiler, aber nicht weniger umwälzend als Thatchers einschneidende Reformen waren und eng mit der britischen Kolonialgeschichte verbunden sind.
Hollinghurst gelingt es immer wieder, mit pointiert-treffenden Beobachtungen nicht nur die Schwächen seiner Charaktere offenzulegen, sondern sie umso menschlicher erscheinen zu lassen. Und deshalb ist Our Evenings vor allem ein reines Lesevergnügen, perfekt, um sich an langen Winterabenden in einzelnen Episoden zu verlieren und mit dem Erzähler in Erinnerungen zu schwelgen. Zum Beispiel an jenen prägenden Sommerurlaub am Meer, der eben nicht nur sepiafarben und melancholisch war, sondern auch aufregend, vergnüglich und ein wenig sexy.
Georg Zipp lebt in Luxemburg und arbeitet als Übersetzer für eine große Behörde
Macmillan Publishers , kartoniert , 496 Seiten
22.- €
978-1-0350-3853-4
03.10.2024
Our Evenings
Der Roman folgt dem Leben des Erzählers Dave Win, der zurückblickt auf seine Internats- und Universitätszeit in den 1960er Jahren (einschließlich queerem Erwachen am Strand), auf seine stürmischen 1970er Jahre als Mitglied einer Schauspieltruppe, die auf die nackte Inszenierung klassischer Theaterstücke spezialisiert ist, bis in die Gegenwart, in der Dave – inmitten von Brexit, Pandemie und Ausschreitungen – ein wenig Fernsehruhm findet. Es ist ein Leben, das gekennzeichnet ist von der besonderen Beziehung zu seiner Mutter (der geheimen Hauptfigur des Romans), von Träumen, die durch alltäglichen Rassismus, die britische Klassengesellschaft und das schnöde Schicksal zu immer feinerem Staub zermahlen werden, wie auch vom unerbittlichen Voranschreiten der Zeit, das dafür sorgt, dass unsere Erinnerungen verblassen, egal wie lange wir versuchen, noch ein wenig länger an ihnen festzuhalten.
In Großbritannien gilt Alan Hollinghurst als einer der besten Schriftsteller unserer Zeit; in Deutschland ist er weniger bekannt. 2004 erhielt er für The Line of Beauty den Booker Prize. Darin sezierte er stilistisch perfekt die Thatcher-Zeit und ihre Folgen für die britische Gesellschaft. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung waren die Ereignisse, die The Line of Beauty beschrieb, 20 Jahre her. Wiederum 20 Jahre später ist Our Evenings nun keine Fortsetzung, sondern eher eine Variation auf größerer Leinwand: Der Roman setzt früher ein und wird bis ins Heute fortgeführt. Our Evenings lässt Ursachen und Folgen des Brexits durchschimmern, die langfristiger und subtiler, aber nicht weniger umwälzend als Thatchers einschneidende Reformen waren und eng mit der britischen Kolonialgeschichte verbunden sind.
Hollinghurst gelingt es immer wieder, mit pointiert-treffenden Beobachtungen nicht nur die Schwächen seiner Charaktere offenzulegen, sondern sie umso menschlicher erscheinen zu lassen. Und deshalb ist Our Evenings vor allem ein reines Lesevergnügen, perfekt, um sich an langen Winterabenden in einzelnen Episoden zu verlieren und mit dem Erzähler in Erinnerungen zu schwelgen. Zum Beispiel an jenen prägenden Sommerurlaub am Meer, der eben nicht nur sepiafarben und melancholisch war, sondern auch aufregend, vergnüglich und ein wenig sexy.
Georg Zipp lebt in Luxemburg und arbeitet als Übersetzer für eine große Behörde