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josfritz Buchhandlung Freiburg
josfritz Buchhandlung Freiburg

Percival Everett

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Aus dem Englischen von Nikolaus Stringl
Hanser Verlag , gebunden , 368 Seiten

 26.- €

 978-3-446-27625-3

 20.02.2023

Die Bäume

Was vom Titel her wie ein Roman der Naturbetrachtung klingt, ist auf 365 Seiten eine vielstimmige Erzählung zur Praxis der Lynchmorde und Lynchjustiz in den USA. Hier, jetzt, eine kenntnisreiche Reise in die Niederungen einer Stadt namens Money, Mississippi.

Alles deutet darauf hin, dass der Autor den Verführungen eines kultursoziologischen Plots erlegen ist, in dem er fiktionale Personen mit historischen Tatsachen belädt.
Aber weit gefehlt. Everett schreibt humorvoll, lakonisch, voller Witz. Ihm ist eine Satire über den unausrottbaren Rassismus in den USA (beispielhaft auch für andere Länder) gelungen. Er schafft es, die Opfer der Lynchjustiz nicht zu verraten, obwohl er, was Personal und Geschichte betrifft, in die Vollen geht. Wer dem Buch als eine Art Kriminalliteratur begegnen will, schneidet sich die Geschichte selbst zurecht. Es ist eben auch ein Buch als Genremix, wohl kalkuliert in der Komposition, gewürzt mit einem bis zur Drastik reichenden Humor.

Anfangs werden weiße Menschen ermordet und massakriert, immer begleitet von einem schwarzen, ebenfalls massakrierten Mann. Wie ein Menetekel erscheint dieser Mann als Teil des Tatortes. Als stummer, toter Zeuge, der auch wieder verschwindet, um schon bald an einem anderen Tatort wieder aufzutauchen. Für die durch und durch rassistische und vom KKK durchdrängte weiße Bevölkerung ist klar: Der tote schwarze Mann ist auch der Täter. Es dauert eine Weile, bis das Unmögliche dieser Behauptung Gestalt annehmen kann. Es kommt weiteres Personal zur Aufklärung des Sachverhaltes hinzu, die Geschichte nimmt ihren Lauf.

Everett hat das Ganze sprachlich souverän in Szene gesetzt, weshalb auch hier die Sprache im Vordergrund steht und den Plot lediglich transportiert. Das Buch ist mit vielen Kapiteln strukturiert, manche lassen einem kaum Zeit, Atem zu holen. Durch diese Art der Montage kann Everett die Geschichte und ihren Subtext entstehen lassen und diese immer weiter verzweigen.

Wir wohnen einem Sprachkünstler bei, der weiß, von was er spricht (sprechen will). Die Verzweigungen werden immer kurioser, das Personal wird immer mehr. Am Ende steht eine landesweite Bewegung, mit dem Ziel der Bemühung um „Gerechtigkeit/Wiedergutmachung" (der Rassist Trump bekommt auch sein Fett ab....). Hier kann man dann einen fast Beckett'schen Satz lesen: Steht auf, steht auf....

Everetts Bäume werfen lange Schatten, von der Vergangenheit in die Gegenwart hinein.
Sein Schreiben über Rassismus und Lynchjustiz hat nichts moralinsaures. Im Gegenteil. Hier ist Lachen keine Therapie, auch keine Überheblichkeit. Eher schon ein mutiger Schritt in Richtung der Umdrehung der geschichtlichen Verhältnisse von Opfer und Täter.

Harald Herrmann, Künstler