Davide Coppo
Der Morgen gehört uns
Ettore lebt in einem kleinen Dorf nahe Mailand. Die Schritte, die ihm bevorstehen, kommen ihm groß vor. Er soll in die Stadt aufs Gymnasium wechseln, er steckt mitten in seiner Pubertät, die ihn dauernd vor schwierige Entscheidungen stellt. Ettore fühlt sich von all dem überfordert. Er ist sich unsicher, wohin ihn sein Lebensweg führen soll. Zudem hat er das Gefühl, dass viele Jungs, die er kennt, schon weiter sind als er: in ihrer körperlichen Entwicklung, im Kontakt mit Mädchen und in ihrem Auftreten. Im Rückblick ist er nicht mehr sicher, an welchem Punkt er zum ersten Mal falsch abgebogen ist.
In der neuen Schule lernt er Giulio kennen – einen Außenseiter. Dieser nimmt ihn mit in die Federazione, einen faschistischen Jugendverband. Ettore fasziniert Giulios Selbstbewusstsein, trotz der Anfeindungen der großen Mehrheit der Mitschüler*innen auf Grund seiner politischen Ansichten. Ettore fängt an, Bücher aus der Bibliothek der Federazione zu lesen. Nicht alles überzeugt ihn. Aber Ettore bekommt das Gefühl, an etwas ganz Großem, Gerechtem mitzuwirken. Giulio nimmt ihn mit zu ersten Aktionen auf der Straße. Sie sind nicht viele, aber Ettore erlebt Zugehörigkeit. Er findet Lebensenergie und Selbstbewusstsein in der Gruppe der Gleichgesinnten.
Mit der Zeit jedoch bekommt er mehr und mehr das Gefühl, dass die Federazione massiver auftreten müsste, um ihre Anliegen gegen die Linken durchzusetzen. Und die Aktionen, an denen er teilnimmt, werden gewalttätiger. Militante Rechte werden zu Vorbildern, denen er innerlich zwiespältig nacheifert. Ettores Mutter diskutiert mit ihm nicht über die Dinge, die ihn bewegen. Nazizeug hat in ihrem Haus einfach nichts verloren. Punkt. Kopfzerbrechen bereitet auch der Onkel, der kurz nach Kriegsende schwer erkrankt aus Deutschland zurückkam und wenige Tage darauf verstarb.
Auch Olimpia, Ettores immer noch bewunderte Jugendliebe, will mit Faschisten nichts zu tun haben. Das italienische Partisanendokument, gerahmt an der Wand in der Wohnung ihrer Eltern, lässt in Ettore Zweifel an seinem Weg aufkommen und trotzdem biegt er, wie in einer Tragödie, weiterhin falsch ab. Und es kommt, wie es kommen muss.
Coppos Roman ist Fiktion und gleichzeitig real. Wie im Rausch habe ich dieses Buch gelesen. Wir alle kennen die Gabelungen, die uns dahin geführt haben, wo wir heute sind.
Gerhard Frey
Aus dem Italienischen von Jan Schönherr
, gebunden , 240 Seiten
24.- €
978-3-910372-29-0
22.07.2024
Der Morgen gehört uns
Ettore lebt in einem kleinen Dorf nahe Mailand. Die Schritte, die ihm bevorstehen, kommen ihm groß vor. Er soll in die Stadt aufs Gymnasium wechseln, er steckt mitten in seiner Pubertät, die ihn dauernd vor schwierige Entscheidungen stellt. Ettore fühlt sich von all dem überfordert. Er ist sich unsicher, wohin ihn sein Lebensweg führen soll. Zudem hat er das Gefühl, dass viele Jungs, die er kennt, schon weiter sind als er: in ihrer körperlichen Entwicklung, im Kontakt mit Mädchen und in ihrem Auftreten. Im Rückblick ist er nicht mehr sicher, an welchem Punkt er zum ersten Mal falsch abgebogen ist.
In der neuen Schule lernt er Giulio kennen – einen Außenseiter. Dieser nimmt ihn mit in die Federazione, einen faschistischen Jugendverband. Ettore fasziniert Giulios Selbstbewusstsein, trotz der Anfeindungen der großen Mehrheit der Mitschüler*innen auf Grund seiner politischen Ansichten. Ettore fängt an, Bücher aus der Bibliothek der Federazione zu lesen. Nicht alles überzeugt ihn. Aber Ettore bekommt das Gefühl, an etwas ganz Großem, Gerechtem mitzuwirken. Giulio nimmt ihn mit zu ersten Aktionen auf der Straße. Sie sind nicht viele, aber Ettore erlebt Zugehörigkeit. Er findet Lebensenergie und Selbstbewusstsein in der Gruppe der Gleichgesinnten.
Mit der Zeit jedoch bekommt er mehr und mehr das Gefühl, dass die Federazione massiver auftreten müsste, um ihre Anliegen gegen die Linken durchzusetzen. Und die Aktionen, an denen er teilnimmt, werden gewalttätiger. Militante Rechte werden zu Vorbildern, denen er innerlich zwiespältig nacheifert. Ettores Mutter diskutiert mit ihm nicht über die Dinge, die ihn bewegen. Nazizeug hat in ihrem Haus einfach nichts verloren. Punkt. Kopfzerbrechen bereitet auch der Onkel, der kurz nach Kriegsende schwer erkrankt aus Deutschland zurückkam und wenige Tage darauf verstarb.
Auch Olimpia, Ettores immer noch bewunderte Jugendliebe, will mit Faschisten nichts zu tun haben. Das italienische Partisanendokument, gerahmt an der Wand in der Wohnung ihrer Eltern, lässt in Ettore Zweifel an seinem Weg aufkommen und trotzdem biegt er, wie in einer Tragödie, weiterhin falsch ab. Und es kommt, wie es kommen muss.
Coppos Roman ist Fiktion und gleichzeitig real. Wie im Rausch habe ich dieses Buch gelesen. Wir alle kennen die Gabelungen, die uns dahin geführt haben, wo wir heute sind.
Gerhard Frey