Gian Marco Griffi
Die Eisenbahnen Mexikos
„Die Welt ist nicht schlecht, sie ist nur zu voll“, so, oder vielleicht etwas anders, hat es Brecht, oder vielleicht war es auch jemand anderes, einmal ausgedrückt. In Gian Marco Griffis Roman Die Eisenbahnen Mexikos ist die Welt zwar schlecht, doch gerade die Tatsache, dass sie so voll ist, macht sie erträglich.
Aber von vorne: Asti im Piemont, 1944, Republik von Salò. Ein von Zahnschmerzen geplagter Milizionär im Dienst der Nationalgarde der Eisenbahnen bekommt einen seltsam anmutenden Auftrag. Francesco Magnetti, genannt Cesco, soll eine detaillierte Karte des Eisenbahnnetzes von Mexiko erstellen, Befehl von oben, aus Deutschland (wo man, zumindest für einen Augenblick, in einer geheimnisumwobenen mexikanischen Stadt eine Wunderwaffe vermutet). Und so muss Cesco neben einem Zahnarzt auch das einzige Buch auftreiben, das ihm die notwendigen Informationen liefern kann: die Historia poética y pintoresca de los ferrocarriles en México. Die Suche nach diesem gestaltet sich jedoch schon bald komplizierter als gedacht, und sie führt ihn unter anderem mit Tilde, der Bibliothekarin, in die er sich auf der Stelle verliebt, den zwielichtigen Gestalten Ettore und Nicolao, dem Friedhofswärter Lito Zanon, dichtenden Eisenbahnern, einem Pastor und einem Partisanen, der Schuhe flickt, zusammen. Zugleich gerät Cesco, der bisher vor allem seine Ruhe wollte, zunehmend in einen Strudel, der ihn allmählich dazu zwingt, sich in Zeiten des Krieges für eine Seite zu entscheiden.
Gian Marco Griffis Roman, der 2023 für den renommierten italienischen Primo Strega nominiert wurde, ist nicht nur umfangreich, sondern zugleich voll im besten Sinne, nämlich gesättigt mit unzähligen erzählerischen Ausflügen und Verweisen: Die mexikanischen Stars der nahezu ausgestorbenen Sportart Jai Alai, Astolfo, der vom Mond zurückkehrt, oder Jorge Luis Borges, alle haben sie auf die ein oder andere Art ihren Auftritt. Griffi wechselt dabei gekonnt die sprachlichen Register, so bleibt ein überdrehter Ton den Faschisten vorbehalten, während eine stärker poetisch eingefärbte Weltsicht die Geschicke und Entwicklung Cescos oder die Erzählung um Gustavo Baz, dem Autor der Historia poética, begleitet. Ein fantastisches und ironisches Stück Literatur über das Weitermachen in schlechten Zeiten.
Jonas Wegerer
Aus dem Italienischen von Verena von Koskull
Claassen Verlag , gebunden , 800 Seiten
36.-€ €
978-3-546-10084-7
01.08.2024
Die Eisenbahnen Mexikos
„Die Welt ist nicht schlecht, sie ist nur zu voll“, so, oder vielleicht etwas anders, hat es Brecht, oder vielleicht war es auch jemand anderes, einmal ausgedrückt. In Gian Marco Griffis Roman Die Eisenbahnen Mexikos ist die Welt zwar schlecht, doch gerade die Tatsache, dass sie so voll ist, macht sie erträglich.
Aber von vorne: Asti im Piemont, 1944, Republik von Salò. Ein von Zahnschmerzen geplagter Milizionär im Dienst der Nationalgarde der Eisenbahnen bekommt einen seltsam anmutenden Auftrag. Francesco Magnetti, genannt Cesco, soll eine detaillierte Karte des Eisenbahnnetzes von Mexiko erstellen, Befehl von oben, aus Deutschland (wo man, zumindest für einen Augenblick, in einer geheimnisumwobenen mexikanischen Stadt eine Wunderwaffe vermutet). Und so muss Cesco neben einem Zahnarzt auch das einzige Buch auftreiben, das ihm die notwendigen Informationen liefern kann: die Historia poética y pintoresca de los ferrocarriles en México. Die Suche nach diesem gestaltet sich jedoch schon bald komplizierter als gedacht, und sie führt ihn unter anderem mit Tilde, der Bibliothekarin, in die er sich auf der Stelle verliebt, den zwielichtigen Gestalten Ettore und Nicolao, dem Friedhofswärter Lito Zanon, dichtenden Eisenbahnern, einem Pastor und einem Partisanen, der Schuhe flickt, zusammen. Zugleich gerät Cesco, der bisher vor allem seine Ruhe wollte, zunehmend in einen Strudel, der ihn allmählich dazu zwingt, sich in Zeiten des Krieges für eine Seite zu entscheiden.
Gian Marco Griffis Roman, der 2023 für den renommierten italienischen Primo Strega nominiert wurde, ist nicht nur umfangreich, sondern zugleich voll im besten Sinne, nämlich gesättigt mit unzähligen erzählerischen Ausflügen und Verweisen: Die mexikanischen Stars der nahezu ausgestorbenen Sportart Jai Alai, Astolfo, der vom Mond zurückkehrt, oder Jorge Luis Borges, alle haben sie auf die ein oder andere Art ihren Auftritt. Griffi wechselt dabei gekonnt die sprachlichen Register, so bleibt ein überdrehter Ton den Faschisten vorbehalten, während eine stärker poetisch eingefärbte Weltsicht die Geschicke und Entwicklung Cescos oder die Erzählung um Gustavo Baz, dem Autor der Historia poética, begleitet. Ein fantastisches und ironisches Stück Literatur über das Weitermachen in schlechten Zeiten.
Jonas Wegerer