Joana Osman
Wo die Geister tanzen
Kann man dieses Buch nicht mehr aus der Hand legen, so gibt es dafür mindestens zwei gute Gründe. Zum einen handelt es sich schlicht um einen wunderbar erzählten, sehr berührenden Familienroman. Beginnend in den 1930er Jahren rekonstruiert die als Tochter eines palästinensischen Vaters und einer deutschen Mutter in einer bayrischen Kleinstadt aufgewachsene Autorin Joana Osman die Geschichte ihrer Großeltern: Einst Kinobetreiber in Jaffa, der „kleinen Schwester von Tel Aviv“, flieht die Familie 1948 wie hunderttausende andere Palästinenser. Es folgen Jahre des Überlebenskampfes im Libanon, der Türkei, und immer wieder Krieg.
Osman zeichnet die Charaktere ihrer weitläufigen Familie dabei mit viel liebevollem Humor und Respekt, wodurch ein plastisches Bild von der kollektiven Fluchterfahrung dieser palästinensischen Generation entsteht. Ebenso von der Diversität der palästinensischen Gesellschaft, was hierzulande eine Leerstelle füllt und allein schon dadurch den ‚Abschied‘ von den Protagonisten am Ende des Buches entsprechend schwermacht.
Darüber hinaus bietet der Roman noch eine weitere Qualität. Geschrieben noch vor dem 7. Oktober letzten Jahres, schlüsselt Joana Osman wie beiläufig die großen Konfliktlinien von Israelis und Palästinensern auf – und erweist dabei beiden Seiten Respekt und Verständnis. Mehr noch: Getragen von ihrer Erfahrung (sie ist u.a. Begründerin der israelisch-palästinensischen Friedensinitiative „The Peace Factory“) skizziert sie den Nahen Osten aus einer zutiefst humanistischen Haltung heraus, die sich der Wucht der militant-nationalistischen Gewalt auf jeder Seite verweigert. Dadurch vermittelt sie den Lesenden das in diesen Tagen tröstliche Gefühl, dass die „Kraft des Mitgefühls stärker ist als der Hass und die politische Verzweiflung“, wie ein Rezensent zurecht bemerkte.
Worauf Joana Osman besteht, ist sicher utopisch: dass „es viel zu wenig gesehen wird, dass sich Israelis und Palästinenser mögen können“. Heute kann man wahrlich nicht wissen, ob Frieden nicht vielleicht „ein zu großes Wort“ ist in Bezug auf den Nahen Osten. Doch es gibt diese Menschen, die sie in ihrem Roman zu Wort kommen lässt, die nach drei Generationen Leid endlich Frieden wollen, und daran arbeiten. Sie haben etwas Tröstliches.
Christoph Seidler
Bertelsmann , gebunden , 224 Seiten
24.- €
978-3-570-10522-1
30.08.2023
Wo die Geister tanzen
Kann man dieses Buch nicht mehr aus der Hand legen, so gibt es dafür mindestens zwei gute Gründe. Zum einen handelt es sich schlicht um einen wunderbar erzählten, sehr berührenden Familienroman. Beginnend in den 1930er Jahren rekonstruiert die als Tochter eines palästinensischen Vaters und einer deutschen Mutter in einer bayrischen Kleinstadt aufgewachsene Autorin Joana Osman die Geschichte ihrer Großeltern: Einst Kinobetreiber in Jaffa, der „kleinen Schwester von Tel Aviv“, flieht die Familie 1948 wie hunderttausende andere Palästinenser. Es folgen Jahre des Überlebenskampfes im Libanon, der Türkei, und immer wieder Krieg.
Osman zeichnet die Charaktere ihrer weitläufigen Familie dabei mit viel liebevollem Humor und Respekt, wodurch ein plastisches Bild von der kollektiven Fluchterfahrung dieser palästinensischen Generation entsteht. Ebenso von der Diversität der palästinensischen Gesellschaft, was hierzulande eine Leerstelle füllt und allein schon dadurch den ‚Abschied‘ von den Protagonisten am Ende des Buches entsprechend schwermacht.
Darüber hinaus bietet der Roman noch eine weitere Qualität. Geschrieben noch vor dem 7. Oktober letzten Jahres, schlüsselt Joana Osman wie beiläufig die großen Konfliktlinien von Israelis und Palästinensern auf – und erweist dabei beiden Seiten Respekt und Verständnis. Mehr noch: Getragen von ihrer Erfahrung (sie ist u.a. Begründerin der israelisch-palästinensischen Friedensinitiative „The Peace Factory“) skizziert sie den Nahen Osten aus einer zutiefst humanistischen Haltung heraus, die sich der Wucht der militant-nationalistischen Gewalt auf jeder Seite verweigert. Dadurch vermittelt sie den Lesenden das in diesen Tagen tröstliche Gefühl, dass die „Kraft des Mitgefühls stärker ist als der Hass und die politische Verzweiflung“, wie ein Rezensent zurecht bemerkte.
Worauf Joana Osman besteht, ist sicher utopisch: dass „es viel zu wenig gesehen wird, dass sich Israelis und Palästinenser mögen können“. Heute kann man wahrlich nicht wissen, ob Frieden nicht vielleicht „ein zu großes Wort“ ist in Bezug auf den Nahen Osten. Doch es gibt diese Menschen, die sie in ihrem Roman zu Wort kommen lässt, die nach drei Generationen Leid endlich Frieden wollen, und daran arbeiten. Sie haben etwas Tröstliches.
Christoph Seidler