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josfritz Buchhandlung Freiburg
josfritz Buchhandlung Freiburg

Jour Fixe Initiative Berlin (Hg.)

cover

edition assemblage , kartoniert

 16.- €

 978-3-96042-150-4

 30.01.2023

Kreolische Konstellationen

Kolonialismus Imperialismus Internationalismus

Die jour fixe initiative berlin hat sich in einer Veranstaltungsreihe wichtige Fragen gestellt: Wie lässt sich angesichts der Klimakrise, globaler Migration, Kriegen, gescheiterten Befreiungsbewegungen und wachsender Ungleichheit überhaupt noch eine internationalistische oder antiimperialistische Perspektive denken? Aus der Reihe ist der Sammelband „Kreolische Konstellationen" entstanden, der schon im Untertitel Unvereinbares zusammenrückt: Kolonialismus Imperialismus Internationalismus. Sollte nicht einmal der Imperialismus „als höchstes Stadium des Kapitalismus" durch den Internationalismus – „Proletarier aller Länder vereinigt euch" – überwunden werden? Heute darf konstatiert werden, dass diese Hoffnung trotz einer digitalisierten und globalisierten Welt, bisher jedenfalls, nicht eingetroffen ist. „Der Imperialismus ist offenkundig aktueller denn je, aber wo ist der Antiimperialismus geblieben?" lautet folgerichtig der erste Satz der Einleitung. Dabei sind die Möglichkeiten einer internationalen Vernetzung in den letzten Jahrzehnten um ein Vielfaches größer geworden. Darüber, warum sich die Kämpfe so wenig internationalisiert haben, gibt dieser Band wesentliche Hinweise.

Zwei der Beiträge werfen ihren Blick nach Afrika: Paul Dziedzic zeigt, wie sich mit China, Russland und Indien neue Player an der Ausbeutung des Kontinents beteiligen und dabei teilweise den westlichen Imperialismus ablösen. Die Uneinigkeit der afrikanischen Staaten nutzen die alten und neuen Akteur*innen, um mittels bilateralen Verträgen neue Abhängigkeiten zu schaffen. Doch der Widerstand gegen eine „Kolonialisierung durch Einladung" wächst.

Am Beispiel Mosambik beschreibt Maria Paula Meneses, wie im Kampf gegen die Kolonialmächte in Afrika die „Verdammten dieser Erde" zu politischen Akteur*innen wurden. Dabei entstanden verschiedene Formen eines afrikanischen Sozialismus, der sich an traditionellen vorkolonialen Strukturen von Gleichheit, Humanität und Kooperation anlehnte. Sie weist darauf hin, dass ein auf den Norden fokussierter Blick gewaltige Fehlinterpretationen der sozialistischen Erfahrung im Globalen Süden mit sich bringt.

Der praktizierte Internationalismus der sozialistischen Ära ist Thema von zwei weiteren Beiträgen. Brigitte Studer blickt 100 Jahre zurück und findet in der Komintern eine Kraft, die sich erstmals auch den außereuropäischen Weltregionen zuwendet. Die Solidarität mündet in einen Internationalismus der Tat, der zwar nicht zur Weltrevolution führte, aber schließlich vielen verschiedenen nationalen Befreiungsbewegungen den Weg ebnete.
Alles andere als uneigennützig war der praktizierte Internationalismus in der DDR. Zwar wurden sozialistische Befreiungsbewegungen in vielen Ländern unterstützt, gleichzeitig wurden die per Anwerbeabkommen in die DDR gelangten Arbeitskräfte systematisch aus der Gesellschaft ausgeschlossen. „Völkerverständigung" und Rassismus liefen sozusagen Hand in Hand, wie Vincent Bababoutilabo und Laura Frey zeigen.

„Wir haben den Schlamassel, in dem wir leben, nicht gewählt, aber wir können bestimmen, wie wir da wieder rauskommen" das sagt C.L.R. James, einer der originellsten und kreativsten schwarzen Denker des 20. Jahrhunderts. Schon der Titel des Sammelbandes „Kreolische Konstellationen" spielt auf ihn an. Seinen undogmatischen Sozialismus, Pan-Afrikanismus und seinen Blick auf die Diversität der Befreiungsbewegungen möchte Elfriede Müller für einen neuen „antiimperialistischen Kommunismus" bergen.

Als „ideologische Verwandtschaftsverhältnisse" bezeichnet Stefan Vogt die Verbindung von Rassismus und Antisemitismus im deutschen Kolonialismus. Er konstatiert signifikante Überschneidungen zwischen den Ideologien, aber auch grundsätzliche Differenzen. Rassismus und Antisemitismus unterscheiden sich, für ihn, in den Logiken, die ihnen zugrunde liegen. Gleichzeitig wendet er sich aber auch gegen eine Hierarchisierung: „Es muss überhaupt nicht entschieden werden, welche der beiden Ideologien die bösere ist." Es dürfe keine Konkurrenz entstehen, zwischen den Erfahrungen von Jüd*innen und denen von rassistisch unterdrückten Anderen.
Mit Antisemitismus und Rassismus beschäftigt sich auch Lutz Fiedler, aber aus einem ganz anderen Blickwinkel: Wie liest Jean Améry, der jüdische Antifaschist und Holocaust-Überlebende, den antikolonialen Theoretiker und Aktivisten Franz Fanon? Für Fiedler wird, mit Jean Améry, eine universalistisch gesonnene Linke sowohl die Auseinandersetzung mit Kolonialismus und Kolonialgewalt, wie die fortdauernde Bedeutung des Holocaust als historische Widerlegung eines früheren Geschichtsoptimismus in ihr Selbstverständnis aufnehmen müssen.
Im abschließenden Beitrag plädiert Nora Sternfeld für einen „situierten Universalismus". Darin versucht sie die Frage: „Und dürfen wir nun für andere sprechen?" zu beantworten. Für sie sind ein Partikularismus der Befreiung und ein Universalismus der Freiheit kein Gegensatz.

„Kreolische Konstellationen" liefert wenig Material darüber, wie die Herrschaft des Imperialismus denn nun zu überwinden ist, aber der Band stellt viele Fragen an Vergangenheit und Gegenwart internationalistischer Praxis, über die sich ein Nachdenken sehr lohnt.

Thomas Hohner