Loading...
josfritz Buchhandlung Freiburg
josfritz Buchhandlung Freiburg

Dana von Suffrin

cover

Kiepenheuer & Witsch Verlag , gebunden , 240 Seiten

 23.- €

 978-3-462-00297-3

 07.03.2024

Nochmal von vorne

Der Vater ist tot. Es war absehbar. Rosa bekommt den Anruf auf der Arbeit und fährt wie benommen erst ins Krankenhaus, dann in die Wohnung, in der er bis zuletzt gelebt hatte, und in der sie als Familie mit Schwester und Mutter aufgewachsen ist. Rosa verbringt dort die Nacht und fährt am nächsten Tag zu ihrer älteren Schwester Nadja, die schon seit Jahren den Kontakt abgebrochen hatte. Dazwischen, während dieser drei Tage, erinnert sie sich an die Familie, es entfaltet sich das Mosaik der Geschichte der Jeruschas. Diese Erinnerungen reichen weiter als nur in die Zeit und an die Orte, an denen Rosa als Person zugegen gewesen wäre, es wird auch von ihren Großeltern erzählt, die als rumänische Juden in den 50er Jahren nach Triest ausgewandert waren, von wo aus die Großmutter dann nach Israel ging.
Mit viel schwarzem Humor und einem genauen Blick für die Details erzählt Dana von Suffrin von einer Familie, die in Deutschland aufwächst, ohne mit diesem Land aber etwas anfangen zu können. Der Vater ist durch Zufall dortgeblieben, die Mutter, eine Deutsche, wollte eigentlich lieber weg und schon gar keine Kinder haben. Und Zsazsa, die Großmutter, ist der äußere Pol, den sie in Israel immer mal wieder besucht haben, und die nicht darüber hinwegkam, dass ihr Sohn in Deutschland geblieben ist.
Die entscheidendere identifikatorische Erfahrung ist jedoch, dass es immer zu wenig Geld gab, das unterschied die Familie noch mehr von den anderen. Diese anderen spielen dabei gar keine große Rolle, es scheint, als wären die Jeruschas sowieso hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt – und das trotz oder gerade wegen der enormen Fliehkräfte, die die einzelnen Mitglieder permanent voneinander wegtrieben. Die Familie als Zusammenhalt in der Diaspora, das ist ein Mythos, der nicht weiter weg sein könnte von den Jeruschas. "Es wäre natürlich schöner, die Geschichte einer großen Liebe zu erzählen, einer Liebe zwischen einer Deutschen und einem Israeli [...], die händchenhaltend durch die Gedenkstätte in Dachau spaziert sind."
Nochmal von vorne ist, auch wenn die Namen der Protagonist*innen andere sind, eine Fortsetzung des Romandebüts der Autorin, Otto, in der der jüdische Patriarch zum Pflegefall wird. Beides sind sehr empfehlenswerte und unsentimentale Romane über die nicht-deutsche Nachkriegsgeneration aus der Perspektive ihrer Kinder und das Konstrukt, das man Familie nennt.

Katrin Herbel, Florian Krautkrämer