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josfritz Buchhandlung Freiburg
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Özge İnan

cover

Piper , gebunden , 240 Seiten

 24.- €

 978-3-492-07168-0

 27.07.2023

Natürlich kann man hier nicht leben

Natürlich kann man hier nicht leben ist das literarische Debüt der 1997 geborenen Özge İnan, Journalistin und Autorin, die nach ihrem ersten Staatsexamen in Jura begonnen hat, als Redakteurin zu arbeiten, unter anderem bei der Süddeutschen Zeitung, dem Freitag und als Kolumnistin für die Seenotrettungsorganisation Mission Lifeline. Regelmäßig erhebt sie ihre Stimme zu politischem Geschehen. So ist es nicht verwunderlich, dass ihr erster Roman zugleich politisch und geschichtlich angelegt ist.
Berlin 2013: Die jugendliche Nilay verfolgt gemeinsam mit ihren Eltern die Proteste auf dem Istanbuler Taksim-Platz. Sie verspürt den Wunsch, sich den Protesten anzuschließen und im Heimatland ihrer Eltern etwas zu bewegen und kann deren Resignation nicht verstehen. Es folgt ein Zeitsprung, der das Leben von Nilays Eltern in Izmir in den 80er und ihr Kennenlernen in den 90er Jahren beschreibt. Beide kommen aus verschiedenen Welten – Vater Selim ist Kommunist und im Widerstand aktiv, während Mutter Hülya in einer konservativen Familie aufwächst und sich mit dem traditionellen Frauenbild konfrontiert sieht. Der Schwerpunkt des Romans liegt auf der Gewalt, Willkür und der Verfolgung seitens des türkischen Staates gegenüber Andersdenkenden nach dem Militärputsch im September 1980. Die Erzählung konzentriert sich weniger auf die geschichtlichen Ereignisse, sodass ein gewisses geschichtliches Vorwissen durchaus hilfreich ist, sondern bleibt vielmehr auf der individuellen Erlebnisebene der Protagonist*innen. Durch die Unterschiedlichkeit dieser und dank einer Perspektivenerweiterung auf viele weitere Akteur*innen gelingt sowohl der Blick auf die politische Unterdrückung durch die Türkei in den 80er und 90er Jahren als auch der Blick auf das privat-politische Leben. Am Ende bleibt offen, wofür sich Nilay entscheidet. Dadurch entsteht viel Raum, sich mit den aufgeworfenen Fragen, wofür und wogegen es sich zu kämpfen lohnt, für sich selbst auseinanderzusetzen.
Özge İnan bedient sich vieler Dialoge, schreibt klar und geradlinig, dabei witzig, eloquent und anschaulich, so dass man liebend gerne mit den Protagonist*innen bei einer Tasse Tee über Möglichkeiten des Widerstands diskutieren möchte.

Julia Wagenhals