Miranda July
Auf allen vieren
Die Protagonistin in Miranda Julys neuem Roman plant zu ihrem 45. Geburtstag einen Trip mit dem Auto von LA nach New York, ganz ohne Mann und Kind. Nach nur wenigen Kilometern allerdings macht sie Halt und bucht sich in einem billigen Motel ein im Wohnort des jungen Mannes, Davey, dem sie kurz zuvor an der Tankstelle begegnet ist und der in ihr eine große Sehnsucht ausgelöst hat.
Wie die Autorin selbst, ist auch die Protagonistin eine in bestimmten Kreisen sehr gefeierte Künstlerin. In der queeren, internationalen Kunstszene genießt sie Ruhm und Status – in spätestens 3 Wochen muss sie zurück in LA sein, da die größte lebende Pop-Ikone ein potentielles Projekt mit ihr besprechen will. Ein paar Kilometer außerhalb der Stadt wiederum empfindet sie die hier erlebte Anonymität plötzlich als sehr befreiend, weshalb sie niemandem – außer ihrer besten Freundin Jordi, mit der sie regelmäßig telefoniert – von der unter- bzw. bald abgebrochenen Reise erzählt.
Ihr Motelzimmer lässt sie zunächst für viel Geld von ausgerechnet Daveys Frau komplett neu einrichten und in eine Luxus-Suite verwandeln. Sie verbringt ihre Tage schlendernd, liegend und tanzend – zunächst allein, später mit Davey – und denkt nach über ihr Leben, die Ehe, Mutterschaft, eigens aufgestellte Theorien über körper- und kopfgetriebenenes Begehren und Sex, die Libido in den Wechseljahren. Das ist oft skurril und auf aufregende Weise unanständig, aber vor allem radikal selbstbestimmt und entwaffnend offen.
In sehr vielen kleinen Gedanken und Bemerkungen beweist July, was für eine genaue Beobachterin sie ist, was die verschiedenen Charaktere trotz ihrer Exzentrik nahbar und menschlich macht. Wie es der Protagonistin dann gelingt, die gewonnenen Erkenntnisse in Kunst zu transformieren und in ihr bisheriges Leben zu integrieren, ist vielleicht nicht für alle Lesenden direkt umsetzbar, aber zumindest inspirierend. Ein verspieltes Buch über Kunst, Kreativität, Intimität und Sexualität, das fast wie nebenbei wichtige geschlechterpolitische Fragen stellt und Lust und Mut macht, auch das eigene Leben immer wieder ganz selbstbestimmt auszurichten.
Joke Colmsee
Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs.
Kiepenheuer & Witsch Verlag , gebunden , 416 Seiten
25.- €
978-3-462-00117-4
14.05.2024
Auf allen vieren
Die Protagonistin in Miranda Julys neuem Roman plant zu ihrem 45. Geburtstag einen Trip mit dem Auto von LA nach New York, ganz ohne Mann und Kind. Nach nur wenigen Kilometern allerdings macht sie Halt und bucht sich in einem billigen Motel ein im Wohnort des jungen Mannes, Davey, dem sie kurz zuvor an der Tankstelle begegnet ist und der in ihr eine große Sehnsucht ausgelöst hat.
Wie die Autorin selbst, ist auch die Protagonistin eine in bestimmten Kreisen sehr gefeierte Künstlerin. In der queeren, internationalen Kunstszene genießt sie Ruhm und Status – in spätestens 3 Wochen muss sie zurück in LA sein, da die größte lebende Pop-Ikone ein potentielles Projekt mit ihr besprechen will. Ein paar Kilometer außerhalb der Stadt wiederum empfindet sie die hier erlebte Anonymität plötzlich als sehr befreiend, weshalb sie niemandem – außer ihrer besten Freundin Jordi, mit der sie regelmäßig telefoniert – von der unter- bzw. bald abgebrochenen Reise erzählt.
Ihr Motelzimmer lässt sie zunächst für viel Geld von ausgerechnet Daveys Frau komplett neu einrichten und in eine Luxus-Suite verwandeln. Sie verbringt ihre Tage schlendernd, liegend und tanzend – zunächst allein, später mit Davey – und denkt nach über ihr Leben, die Ehe, Mutterschaft, eigens aufgestellte Theorien über körper- und kopfgetriebenenes Begehren und Sex, die Libido in den Wechseljahren. Das ist oft skurril und auf aufregende Weise unanständig, aber vor allem radikal selbstbestimmt und entwaffnend offen.
In sehr vielen kleinen Gedanken und Bemerkungen beweist July, was für eine genaue Beobachterin sie ist, was die verschiedenen Charaktere trotz ihrer Exzentrik nahbar und menschlich macht. Wie es der Protagonistin dann gelingt, die gewonnenen Erkenntnisse in Kunst zu transformieren und in ihr bisheriges Leben zu integrieren, ist vielleicht nicht für alle Lesenden direkt umsetzbar, aber zumindest inspirierend. Ein verspieltes Buch über Kunst, Kreativität, Intimität und Sexualität, das fast wie nebenbei wichtige geschlechterpolitische Fragen stellt und Lust und Mut macht, auch das eigene Leben immer wieder ganz selbstbestimmt auszurichten.
Joke Colmsee