Jennifer Egan
Candy House
Eine Herausforderung ist es durchaus, der Vielzahl unterschiedlicher Charaktere in Jennifer Egans Roman Candy Haus vom alles zählenden Nerd über den genialen Erfinder und die fremdgesteuerte Spionin hin zur Tennis-Mutti zu folgen, ihre vielschichtigen Beziehungen zueinander zu ergründen. Aber es lohnt sich absolut!
Jennifer Egan spinnt in ihrem dritten Roman ein komplexes Geflecht von Beziehungen, aufgespannt zwischen den Polen Vertrautheit und Ignoranz, Authentizität und Verrat, Privatheit und öffentlicher Preisgabe, Empathie und Gewinnstreben.
Bix Bouton hat auf Basis von Theorien der Anthropologin Miranda Kline eine neue Technologie entwickelt, die es nicht nur erlaubt, das eigene Bewusstsein zu externalisieren, sondern die radikale Vergesellschaftung persönlicher Erfahrung im Kollektivbewusstsein ermöglicht. Mit seinem Unternehmen Mandala wird er zum umstrittenen Superstar.
Statt Instastorys suchen und finden Egans Protagonist*innen im Netz Träume, Gedanken und Gefühle anderer Menschen. Sie zahlen dafür mit dem Upload des eigenen Bewusstseins. Ein feuchter Traum für Suchmaschinenbetreiber, ein Albtraum für die meisten von uns. Und doch ist der Roman von Jennifer Egan nicht dystopisch, kein Tech-Roman und auch keine klassische Science Fiction. Candy Haus lässt sich nicht in bekannte Genres quetschen, sicher aber ist es ein Beziehungsroman über mehrere Generationen, Orte, und sogar Dimensionen hinweg, der mich ähnlich in den Bann gezogen hat wie die großen, alten Erzählungen von T.C. Boyle. Es geht um Nähe über den Tod hinaus, Erfolg und Sucht, Hingabe und Betrug, Kontrolle und Rebellion mit oft überraschenden Wendungen und Enthüllungen.
Genauso vielfältig wie die Personen und Themen ihres Romans sind Egans Erzähltechniken. Die Perspektiven wechseln ständig und damit auch der Stil. Mal klassisch auktorial oder Ich-Erzählung, mal zensierter Gedankenstrom, dann wieder können wir verfolgen, wie sich über ein immer größeres Netzwerk aus PMs eine geniale Intrige entspinnt. Wir erleben den Stream of Consciousness eines abgehalfterten Musikproduzenten, den seine Kinder nach dem Upload wie im Kino konsumieren.
Ich bin begeistert von Jennifer Egans Candy Haus. Der Roman ist unheimlich klug, lakonisch und es macht einfach wahnsinnig Spaß, ihn zu lesen!
Julia Wagner
Aus dem Englischen von Henning Ahrens.
S. Fischer Verlag , Taschenbuch , 416 Seiten
15.- €
978-3-596-70934-2
19.02.2024
Candy House
Eine Herausforderung ist es durchaus, der Vielzahl unterschiedlicher Charaktere in Jennifer Egans Roman Candy Haus vom alles zählenden Nerd über den genialen Erfinder und die fremdgesteuerte Spionin hin zur Tennis-Mutti zu folgen, ihre vielschichtigen Beziehungen zueinander zu ergründen. Aber es lohnt sich absolut!
Jennifer Egan spinnt in ihrem dritten Roman ein komplexes Geflecht von Beziehungen, aufgespannt zwischen den Polen Vertrautheit und Ignoranz, Authentizität und Verrat, Privatheit und öffentlicher Preisgabe, Empathie und Gewinnstreben.
Bix Bouton hat auf Basis von Theorien der Anthropologin Miranda Kline eine neue Technologie entwickelt, die es nicht nur erlaubt, das eigene Bewusstsein zu externalisieren, sondern die radikale Vergesellschaftung persönlicher Erfahrung im Kollektivbewusstsein ermöglicht. Mit seinem Unternehmen Mandala wird er zum umstrittenen Superstar.
Statt Instastorys suchen und finden Egans Protagonist*innen im Netz Träume, Gedanken und Gefühle anderer Menschen. Sie zahlen dafür mit dem Upload des eigenen Bewusstseins. Ein feuchter Traum für Suchmaschinenbetreiber, ein Albtraum für die meisten von uns. Und doch ist der Roman von Jennifer Egan nicht dystopisch, kein Tech-Roman und auch keine klassische Science Fiction. Candy Haus lässt sich nicht in bekannte Genres quetschen, sicher aber ist es ein Beziehungsroman über mehrere Generationen, Orte, und sogar Dimensionen hinweg, der mich ähnlich in den Bann gezogen hat wie die großen, alten Erzählungen von T.C. Boyle. Es geht um Nähe über den Tod hinaus, Erfolg und Sucht, Hingabe und Betrug, Kontrolle und Rebellion mit oft überraschenden Wendungen und Enthüllungen.
Genauso vielfältig wie die Personen und Themen ihres Romans sind Egans Erzähltechniken. Die Perspektiven wechseln ständig und damit auch der Stil. Mal klassisch auktorial oder Ich-Erzählung, mal zensierter Gedankenstrom, dann wieder können wir verfolgen, wie sich über ein immer größeres Netzwerk aus PMs eine geniale Intrige entspinnt. Wir erleben den Stream of Consciousness eines abgehalfterten Musikproduzenten, den seine Kinder nach dem Upload wie im Kino konsumieren.
Ich bin begeistert von Jennifer Egans Candy Haus. Der Roman ist unheimlich klug, lakonisch und es macht einfach wahnsinnig Spaß, ihn zu lesen!
Julia Wagner