Mary Renault
Freundliche junge Damen
Bereits 1944 erschien die englische Originalausgabe dieses erstaunlichen Romans, der erst 2023 ins Deutsche übersetzt wurde.
Aus einem englischen Landroman, der im Cornwall der Vierziger-Jahre spielt, mit einer fast unerträglich naiven siebzehnjährigen Protagonistin, entspinnt sich die Geschichte zweier junger Frauen, deren Lebensentwurf spannender kaum sein könnte. Die behütet aber unglücklich aufgewachsene Elsie verliebt sich in den Arzt Peter und verschwindet auf seinen Rat zu ihrer älteren Schwester Leonora (Leo), welche das Elternhaus bereits vor Jahren verlassen hat und seither als „persona non grata" nicht mehr erwähnt wurde. Dementsprechend ist Elsie völlig unklar, in welchen Verhältnissen sie ihre Schwester antreffen wird und vermutet, sie habe ihren guten Ruf verspielt.
Leo lebt in einer offenen bisexuellen Beziehung zusammen mit ihrer Freundin Helen in London auf einem Hausboot auf der Themse. Dort kommt nicht nur Peter später zu Besuch (und zeigt sich deutlich interessierter an den zwei Damen als an der jungen Elsie) – es gehen diverse Freunde und Verehrer ein und aus. Geschildert wird in diesem Roman das unkonventionelle Leben von Helen und vor allem von Leo, die Western schreibt, wenn sie nicht mit ihrem besten Freund Joe, einem amerikanischen Schriftsteller, auf dem Fluss unterwegs ist. Die romantische Beziehung der beiden Frauen wird im Geiste der Zeit von der Umwelt vollkommen ignoriert.
Humorvoll und lebendig schildert Mary Renault diese queere Geschichte über Freundschaft, Liebe und alternative Lebensentwürfe. Man liegt sicher nicht falsch, den ein oder anderen autobiographischen Hintergrund zu vermuten. Gleichzeitig bleibt im Roman vieles im Vagen und der Vorstellung der Leser*in überlassen, was das Lesen dieser Geschichte zu einer echten Freude mit vielen Überraschungsmomenten macht. Das Ende der Geschichte würde man sich fast anders, mutiger, wünschen oder könnte es sich zumindest auch ganz anders vorstellen, um im Geiste des Romans zu bleiben – nicht aber im Geiste der damaligen Zeit. Das allerdings scheint Mary Renault ebenso ergangen zu sein – später distanzierte sie sich von dem von ihr gewählten Schluss. Romanende hin oder her – dieser Roman ist eindeutig mein bisheriger Favorit im Jahres-Abo!
Gesine Schönberger
Aus dem Englischen von Gertrud Wittich.
Rowohlt , Taschenbuch , 448 Seiten
15.- €
978-3-499-01280-8
12.09.2023
Freundliche junge Damen
Bereits 1944 erschien die englische Originalausgabe dieses erstaunlichen Romans, der erst 2023 ins Deutsche übersetzt wurde.
Aus einem englischen Landroman, der im Cornwall der Vierziger-Jahre spielt, mit einer fast unerträglich naiven siebzehnjährigen Protagonistin, entspinnt sich die Geschichte zweier junger Frauen, deren Lebensentwurf spannender kaum sein könnte. Die behütet aber unglücklich aufgewachsene Elsie verliebt sich in den Arzt Peter und verschwindet auf seinen Rat zu ihrer älteren Schwester Leonora (Leo), welche das Elternhaus bereits vor Jahren verlassen hat und seither als „persona non grata" nicht mehr erwähnt wurde. Dementsprechend ist Elsie völlig unklar, in welchen Verhältnissen sie ihre Schwester antreffen wird und vermutet, sie habe ihren guten Ruf verspielt.
Leo lebt in einer offenen bisexuellen Beziehung zusammen mit ihrer Freundin Helen in London auf einem Hausboot auf der Themse. Dort kommt nicht nur Peter später zu Besuch (und zeigt sich deutlich interessierter an den zwei Damen als an der jungen Elsie) – es gehen diverse Freunde und Verehrer ein und aus. Geschildert wird in diesem Roman das unkonventionelle Leben von Helen und vor allem von Leo, die Western schreibt, wenn sie nicht mit ihrem besten Freund Joe, einem amerikanischen Schriftsteller, auf dem Fluss unterwegs ist. Die romantische Beziehung der beiden Frauen wird im Geiste der Zeit von der Umwelt vollkommen ignoriert.
Humorvoll und lebendig schildert Mary Renault diese queere Geschichte über Freundschaft, Liebe und alternative Lebensentwürfe. Man liegt sicher nicht falsch, den ein oder anderen autobiographischen Hintergrund zu vermuten. Gleichzeitig bleibt im Roman vieles im Vagen und der Vorstellung der Leser*in überlassen, was das Lesen dieser Geschichte zu einer echten Freude mit vielen Überraschungsmomenten macht. Das Ende der Geschichte würde man sich fast anders, mutiger, wünschen oder könnte es sich zumindest auch ganz anders vorstellen, um im Geiste des Romans zu bleiben – nicht aber im Geiste der damaligen Zeit. Das allerdings scheint Mary Renault ebenso ergangen zu sein – später distanzierte sie sich von dem von ihr gewählten Schluss. Romanende hin oder her – dieser Roman ist eindeutig mein bisheriger Favorit im Jahres-Abo!
Gesine Schönberger