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josfritz Buchhandlung Freiburg
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Juan S.Guse

cover

S. Fischer Verlag , gebunden , 640 Seiten

 26.- €

 978-3-10-397393-8

 2019

Miami Punk

Das Meer hat sich zurückgezogen. Alligatoren streunen durch die Straßen. Ringervereine sichern die letzten Reste öffentlicher Ordnung. Und überall rasen rote Fahrzeuge in halsbrecherischem Tempo durch die Straßen, um punktgenau José Pepperonis Pizza auszuliefern.

Juan S. Guses Roman Miami Punk spielt mit Elementen des utopisch-dystopischen Romans, inszeniert gekonnt scheinbare Science-Fiction-Momente, und erinnert damit an Margaret Atwoods für Oryx & Crake entwickelten Gedanken der Speculative Fiction. Literatur, die die Gegenwart konsequent weiterdenkt und daran angelehnte Szenarien entwickelt.
Vielfältig, kunstvoll und mit leiser Empathie erzählt der Autor ausschnitthaft die Geschichten lose verbundener Bewohner Miamis. Er beschreibt die düstere und widerständige Atmosphäre einer Stadt, die durch eine passive Naturgewalt ihrer fundamentalen gesellschaftlichen Bezugspunkte beraubt wurde. Eine Stadt, die tief gefallen ist, von einem beliebten und auf Schein getrimmten Urlaubsort hin zu einer heruntergekommenen, versprengten Metropole, die nicht mehr als funktionierende Organisation, sondern als riesige Ansammlung paralleler Entitäten erscheint.

Der Hafen führt kein Wasser mehr, die Docks müssen ihre Mitarbeiter entlassen, und die? Gehen einfach weiter zur Arbeit. Lassen ihre Briefkästen überquellen. Klammern sich an den verlorenen Alltag.

Präzise und mit feinem Humor entwickelt Guse wie nebenbei eine komplexe Szenerie und vervollständigt immer weiter das Bild einer befremdlichen aber nicht wirklich abseitigen Realität. Die Figuren sind stets glaubwürdig, sie wirken wie gefangen und sind irritierend nachvollziehbar in ihrer Resignation. Es ist das Leben in einer Welt, die ohne offenkundige Katastrophe schlicht aus einem fragilen Gleichgewicht geraten ist. Die Lektüre verdeutlicht, gesellschaftliche Balance ist sensibel und die Macht, die im Festhalten an Normalität, die im Wunsch nach Beständigkeit steckt, ist immens. Was sind wir zu ignorieren in der Lage und woran halten wir fest, wenn alles um uns herum in seine Einzelteile zerfällt?

Juan S. Guse hat es geschafft, seinem beeindruckenden Debüt Lärm und Wälder einen würdigen und gereiften Roman nachfolgen zu lassen: Miami Punk ist nicht weniger als der zwischen zwei Buchdeckeln festgehaltene Kristallisationspunkt einer bereits heute ungeheuren Gesellschaft.

Frederik Skorzinski ist Mitarbeiter im Literaturhaus Freiburg, Mitkurator der Lesereihe »bauschen & biegen« und engagiert sich bei samt & sonders e.V., Unabhängige Lesereihen e.V. und als DJ Fred Pferd für eine lebendige Kulturlandschaft.