Loading...
josfritz Buchhandlung Freiburg
josfritz Buchhandlung Freiburg

Mareike Fallwickl

cover

Rowohlt Verlag , gebunden , 384 Seiten

 22.- €

 978-3-498-00296-1

 22.03.2022

Die Wut, die bleibt

Die Geschichte von Helene, Lola und Sarah beginnt mit einem heftigen Knall, der ganz leise daherkommt, dem Suizid einer dreifachen Mutter. Beim Abendessen steht Helene, Mutter von Lola und zwei jüngeren Söhnen, vom Tisch auf, geht zum Balkon und springt hinunter. Sie zerbricht an der schon lange bestehenden und durch zwei Lockdowns noch verstärkten Mehrfachbelastung von Job und Care-Arbeit.

Ihre beste Freundin Sarah, in ihrem Versuch, die Familie zu unterstützen und die eigene Trauer zu bewältigen, übernimmt mehr und mehr Aufgaben der Verstorbenen. Die noch kinderlose Freundin nimmt diese Rolle ganz plötzlich ein, statt sukzessive in sie hineinzuwachsen. Aus dieser Perspektive werden die überwältigenden Anforderungen, die Erschöpfung und die permanente Verfügbarkeit, welche die Mutterschaft für Helene neben Liebe und Fürsorge bedeutet haben, vor Augen geführt. Wofür Sarah ihre Freundin oft gleichzeitig beneidet und bemitleidet hat, wird schneller ihre eigene Realität als sie für möglich gehalten hätte.

Die 15-jährige Lola hat dafür wenig Verständnis und beobachtet die Freundin ihrer Mutter fassungslos. Sie geht auf eine ganz eigene Art und Weise mit ihrem Schmerz um. Gemeinsam mit ihrer Freundin Sunny lernt sie bei einem Selbstverteidigungskurs weitere junge Frauen kennen, mit denen sie sich gemeinsam radikalisiert. Sie gehören einer neuen Generation von Feminist*innen an, welche bestehende Geschlechterrollen noch einmal ganz anders, früher und viel konsequenter infrage stellen.

Während die Frauen in dieser Geschichte und ihr Generationenkonflikt sehr differenziert und sorgfältig gezeichnet sind, bleiben die Männer blass und kommen nicht gut weg. Da sind zum Beispiel Helenes passiver Mann Johannes oder Sarahs selbstbezogener Freund Leon, von den Männern, welche den Zorn von Lola und ihren Freund*innen auf sich gezogen haben, ganz zu Schweigen.

Dies wirkt manchmal brutal zugespitzt, und trägt trotzdem viel Wahrheit in sich. Nicht nur in diesem in Österreich spielenden Roman wird der Blick auf die Frage gelenkt, wer in den letzten zwei Jahren im Home-Office im geschlossenen Arbeitszimmer am Schreibtisch saß und wer am Esstisch neben Projektfristen auch noch mit Algebra und der Hausaufgabe über den Wüstenfuchs jongliert hat. Ein bitterer wie packender Lesegenuss.

Joke Colmsee