Ruth Wittig
Zu dritt
Wer in diesen Zeiten relativ Unbeschwertes und dennoch keineswegs Oberflächliches lesen möchte, dem empfehle ich den Roman Zu dritt.
Feinfühlig und humorvoll webt die Autorin Ruth Wittig aus drei zunächst unabhängig voneinander anmutenden Erzählungen über Dreiecksverhältnisse eine generationenübergreifende Familiensaga, die sich erst auf den zweiten Blick enthüllt.
Da ist die leichtfüßige Dreiecksbeziehung von Martina, Philipp und Radwan, die uns in die jüngere Vergangenheit führt. In Zeiten vor Corona, vor dem Krieg in Europa und einem vielerorts noch verdrängten Klimawandel spinnen die drei jungen Menschen sich in einen Kokon der Sorglosigkeit ein, in ein studentisches Leben von Tag zu Tag, dessen Horizont nur bis zum nächsten Treffen reicht. Und Martina glaubt, der Mittelpunkt des Dreiecks zu sein, in dem alle sich liebten:»...Schenkel und Geraden mit gleicher Seitenlänge in der Höhe, und oben, wo sie zusammentrafen, auf der Spitze des Winkels, saß ich. Es war sehr bequem.«
In der zweiten Geschichte erleben wir Hanna, Martinas Großmutter, ihren Ehemann und ihre Mutter. Eine durch Kriegserlebnisse und Loyalität geprägte Dreiecksgemeinschaft im Deutschland der Nachkriegsjahre, in Zeiten des kalten Krieges – Hannas Angst vor dem atomaren Wahnsinn, als im Zuge der Aufrüstung in Fulda die Atomkanone „Annie“ zur Schau gestellt wird – und in Zeiten des Wirtschaftswunders mit seinen eingekästelten Neubauten und Denkweisen. Erst in der Freiheit ihrer Töchter findet Hanna einen Ersatz für die eigene, zerstörte Jugend in einem totalitären System und fühlt sich selbst noch einmal jung – vorübergehend.
Im dritten Teil kämpft der hochbetagte Viktor, Hannas Ehemann und inzwischen seit vielen Jahren Witwer, um Würde und Selbständigkeit. Eine seiner Pflegerinnen, die junge Henryka, erinnert ihn an Dietka, eine Polin, seine Liebe aus dem Krieg, die „der Maßstab“ geblieben ist. Als Henryka von einem Nachbarn umworben und verführt wird, gelingt es dem eifersüchtigen Viktor, im erotischen Fahrwasser dieser Beziehung mitzuschwimmen. Doch es ist Henryka, die die Beziehung zu Viktor gestaltet und über die Grenzen der Intimität entscheidet. Wortgewandt und bis in die Groteske geschildert.
Susanne Niemeyer-Langer
( Lilith - Sommer 2022 )
Edition Bücherlese , gebunden , 304 Seiten
27.- €
978-3-906097-25-3
10.9.2019
Zu dritt
Wer in diesen Zeiten relativ Unbeschwertes und dennoch keineswegs Oberflächliches lesen möchte, dem empfehle ich den Roman Zu dritt.
Feinfühlig und humorvoll webt die Autorin Ruth Wittig aus drei zunächst unabhängig voneinander anmutenden Erzählungen über Dreiecksverhältnisse eine generationenübergreifende Familiensaga, die sich erst auf den zweiten Blick enthüllt.
Da ist die leichtfüßige Dreiecksbeziehung von Martina, Philipp und Radwan, die uns in die jüngere Vergangenheit führt. In Zeiten vor Corona, vor dem Krieg in Europa und einem vielerorts noch verdrängten Klimawandel spinnen die drei jungen Menschen sich in einen Kokon der Sorglosigkeit ein, in ein studentisches Leben von Tag zu Tag, dessen Horizont nur bis zum nächsten Treffen reicht. Und Martina glaubt, der Mittelpunkt des Dreiecks zu sein, in dem alle sich liebten:»...Schenkel und Geraden mit gleicher Seitenlänge in der Höhe, und oben, wo sie zusammentrafen, auf der Spitze des Winkels, saß ich. Es war sehr bequem.«
In der zweiten Geschichte erleben wir Hanna, Martinas Großmutter, ihren Ehemann und ihre Mutter. Eine durch Kriegserlebnisse und Loyalität geprägte Dreiecksgemeinschaft im Deutschland der Nachkriegsjahre, in Zeiten des kalten Krieges – Hannas Angst vor dem atomaren Wahnsinn, als im Zuge der Aufrüstung in Fulda die Atomkanone „Annie“ zur Schau gestellt wird – und in Zeiten des Wirtschaftswunders mit seinen eingekästelten Neubauten und Denkweisen. Erst in der Freiheit ihrer Töchter findet Hanna einen Ersatz für die eigene, zerstörte Jugend in einem totalitären System und fühlt sich selbst noch einmal jung – vorübergehend.
Im dritten Teil kämpft der hochbetagte Viktor, Hannas Ehemann und inzwischen seit vielen Jahren Witwer, um Würde und Selbständigkeit. Eine seiner Pflegerinnen, die junge Henryka, erinnert ihn an Dietka, eine Polin, seine Liebe aus dem Krieg, die „der Maßstab“ geblieben ist. Als Henryka von einem Nachbarn umworben und verführt wird, gelingt es dem eifersüchtigen Viktor, im erotischen Fahrwasser dieser Beziehung mitzuschwimmen. Doch es ist Henryka, die die Beziehung zu Viktor gestaltet und über die Grenzen der Intimität entscheidet. Wortgewandt und bis in die Groteske geschildert.
Susanne Niemeyer-Langer
( Lilith - Sommer 2022 )