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josfritz Buchhandlung Freiburg
josfritz Buchhandlung Freiburg

Andrzej Stasiuk

cover

Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall
Suhrkamp Verlag , gebunden , 355 Seiten

 25.- €

 978-3-518-43126-9

 12.03.2023

Grenzfahrt

Der Autor sucht mit atmosphärisch starken und dichten Bilder eine Nähe zur Geschichteherzustellen, der man sich lesend nur schwer entziehen kann.Dabei häutet Stasiuk Geschichte mit den Augen des Lesers und schafft Räume, die man betreten und auch wieder verlassen kann. Die Nähe, um die es dem Autor geht, ist eine Dauernde im Stillstand der Zeit. Die Hitze, sie ist da, die Gefahr, die Möglichkeit und Unmöglichkeit der Flucht, die Angst ist da, das Überleben ist da, die Sehnsucht nach Liebe.

Die Handlung selbst spielt vorwiegend in den Tagen um den Überfall Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion 1941 in einer abgeschiedenen Gegend Polens, wo Partisanentruppen auf jüdische Untergetauchte treffen, wo Gewalt herrscht und sich die Weltgeschichte im Kleinen offenbart. Eingewoben ist eine zweite Ebene, auf der der Erzähler mittels eines sich nicht mehr erinnern können oder wollenden Vaters der Geschichte nachspürt.

Das Buch selbst ist eine Art Grenzfahrt, allerdings weit davon entfernt, Touristisches zu meinen oder gar einen Ausflug. Durch die sinnliche Nähe aller Naturerscheinungen formuliert Stasiuks Sprache einen Atem, der den Protagonisten des Buches zunehmend abhanden kommt. Es geschehen Verwicklungen in Lebensgefahr.

Dass der Vater des Erzählers sich nicht mehr daran erinnern kann, dass er selbst an diesem Ort war, wirkt wie ein Zeichen des Vergessen-Wollens. Dieses Nicht-Vergessen-Können und das gleichzeitige Vergessen-Wollen ist das Gewebe, mit dem sich Grenzfahrt unmerklich in den Leser einschreibt. Daraus schöpft dieses Buch seine Kraft und Gegenwärtigkeit. Grenzfahrt ist auch ein Buch über die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der Erinnerung jenseits jeder psychologischen oder pädagogischen Frage- und Antwortlust.

Harald Herrmann, Künstler